Tobias Daniel M.A.

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"Wir setzen unser Strategieprogramm konsequent um"

VIG-Vorstandsvorsitzender Hartwig Löger (Quelle: VIG-Chef Hartwig Löger. (Quelle: Ian Ehm / VIG)

Im Juli übernahm der ehemalige österreichische Finanzminister und Kurzzeit-Kanzler Hartwig Löger den Vorstandsvorsitz der Vienna Insurance Group (VIG). Er folgte auf Elisabeth Stadler und soll nun das Strategieprogramm mit den Schwerpunkten Wachstum, Profitabilität und Kundenzentrierung vorantreiben. Im VWheute-Interview erklärt der Manager, wo seine Prioritäten liegen und warum die Region "Central Eastern Europe" für sein Unternehmen so attraktiv ist.

VWheute: Sie sind seit 1. Juli 2023 in Amt und Würden: Wie würden Sie das "Erbe" beschreiben, das Sie von Ihrer Vorgängerin, Frau Stadler, übernommen haben?

Hartwig Löger: Die VIG-Gruppe ist Marktführer in Zentral- und Osteuropa, kapitalstark aufgestellt und unseren Aktionären ein stabiler und verlässlicher Partner. Unser Erfolg fußt auf einer klaren Strategie, die auf Wachstum, Kundennähe und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.

VWheute: Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben und wie wollen Sie diesen während Ihrer Amtszeit umsetzen? Welche "Werte" stehen dabei für Sie im Fokus?

Hartwig Löger: Alle relevanten fachlichen Expertisen sind tief in unserer Gruppe verankert. Darauf setze ich auf und fördere eigenverantwortliches Handeln innerhalb klar definierter Leitplanken. Wo immer möglich lebe ich einen partizipativen Führungsstil. Dabei sind Vertrauen, Loyalität und ein wertschätzender Umgang essenziell für mich.

VWheute: Im Dezember 2017 wurden Sie zum Finanzminister der Republik berufen. Welche Erfahrungen würden Sie aus Ihrer "politischen Zeit" mit in Ihre jetzige Tätigkeit einbringen

Hartwig Löger: Eine besonders spannende und prägende Erfahrung in meiner Zeit als Finanzminister war die Ratspräsidentschaft Österreichs in der EU, in der es galt, sich sehr rasch und aus unterschiedlichen Perspektiven in eine große Bandbreite an Themen einzuarbeiten. Um gute Lösungen im Sinne der Staatengemeinschaft zu erzielen, waren fundierte Argumentationen, aber auch Kompromissfähigkeit gefragt. Eine Expertise, auf der ich auch in der VIG bei der Steuerung unserer 55 Ländergesellschaften aufbaue.

VWheute: Sie haben jüngst in einem Interview gesagt, dass sich die VIG "als Gruppe" verstehe und auf ein "dezentrales Netz von eigenverantwortlichen Gesellschaften" setze: Wie viel Eigenverantwortung erhalten die Ländergesellschaften konkret und wie definieren Sie die "moderierende Rolle" der Konzernmutter?

Hartwig Löger: Als Gruppe agieren wir anders als ein zentral gesteuerter Konzern. Ich vergleiche die VIG gerne mit einer Schiffsflotte mit lokalen Kapitänen, die selbst am besten wissen, wie sie ihr Schiff durch die ihnen vertrauten Landesgewässer navigieren. Die Holding gibt dazu die Strategie vor, koordiniert und sorgt dafür, dass die Schiffe auf Kurs bleiben. Die Vielfalt innerhalb unserer Gruppe ist eines unserer größten Assets. Auch in diesem Kontext lässt sich eine Parallele zur EU ziehen, die dem Grundsatz 'in Vielfalt vereint' folgt.

VWheute: Haben Sie derzeit noch weitere Märkte über die bestehenden Kernmärkte hinaus im Blick und wenn ja, welche? Welche Strategie verfolgen Sie derzeit in den bestehenden Kernmärkten sowie auf dem Heimatmarkt Österreich? Welche Rolle nimmt der deutsche Markt in den strategischen Überlegungen ein?

Hartwig Löger: Wir sind aktuell in der CEE-Region in 30 Ländern aktiv vertreten, 20 davon - darunter auch Österreich - haben wir als unsere Kernmärkte definiert. Zehn Länder sehen wir als Spezialmärkte, in denen wir spezifische, profitable Geschäftsfelder verfolgen - dazu zählt auch Deutschland. Damit decken wir einen sehr breiten Radius ab, innerhalb dessen wir großes Potenzial sehen. Im Schnitt beträgt die Versicherungsdurchdringung in etwa ein Zehntel von jener in den westeuropäischen Märkten. 

Wir haben die Wachstumschancen für jedes Land und jede Gesellschaft einzeln analysiert und setzen regional entsprechend individuelle Maßnahmen. So sehen wir insbesondere in Österreich Potenzial in der Alters- und Gesundheitsvorsorge. 

In Deutschland treten wir mit unseren beiden InterRisk-Gesellschaften als reiner Maklerversicherer auf und bieten Privatkunden sehr erfolgreich bedarfsgerechte Lebens-, Unfall-, Sach- und Haftpflichtversicherungen, für die die InterRisk auch immer wieder Auszeichnungen erhält.

VIG-Vorstandschef Hartwig Löger im Kurzporträt

Am 1. Juli 2023 übernahm der ehemalige österreichische Finanzminister Hartwig Löger den Vorstandsvorsitz des Versicherungskonzerns Vienna Insurance Group (VIG). Er trat damit die Nachfolge von Elisabeth Stadler an, die ihren Vertrag über den 30. Juni 2023 hinaus auf eigenen Wunsch nicht mehr verlängern wollte.

Der gebürtige Steirer hat bereits 1985 in der Versicherungsbranche im Maklergeschäft begonnen. Nach Abschluss des Universitätslehrgangs für Versicherungswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien wechselte er 1989 als Verkaufsleiter zur Allianz in der Steiermark. Von 1997 bis 2002 war er Vertriebsleiter bei der Donau Versicherung. Es folgten mehrere Führungspositionen in der Uniqa Gruppe, zuletzt als Vorstandsvorsitzender der Uniqa Österreich AG bis Ende November 2017.

Von Dezember 2017 bis Juni 2019 war Löger Finanzminister der Republik Österreich unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Nach einem Misstrauensantrag hatte er kurzzeitig auch die Ämter des Bundeskanzlers bzw. des Vizekanzlers inne. Von 2019 bis 2021 war Löger geschäftsführender Gesellschafter der V.I.P. Consulting Unternehmensberatung, wo er, auch im Rahmen eines Beratervertrages mit dem Wiener Städtischen Versicherungsverein, dem Haupteigentümer der Vienna Insurance Group, für die VIG-Gruppe tätig ist. Seit Januar 2021 gehört er dem VIG-Vorstand an.

VWheute: Blicken wir kurz nach Osteuropa: Der Krieg in der Ukraine dauert weiter an. Welche Folgewirkungen hat der Konflikt für die VIG konkret und welche langfristigen Ffolgen erwarten Sie für den Konzern? Zeichnet die VIG noch Geschäft in der Ukraine und welche Ziele verfolgt die VIG in Russland und der Ukraine nach dem Ende eines Konfliktes? Kurzer Blick auf Moldau: Was würde ein eventueller Konflikt mit Russland für das VIG-Geschäft bedeuten?

Hartwig Löger: Wir verfolgen in allen unseren Märkten eine Langzeitstrategie. Dies gilt auch nach wie vor für die Ukraine, die wir vor Kriegsausbruch als Markt mit hohem Wachstumspotenzial eingestuft haben. Derzeit steht selbstverständlich die Unterstützung der rund 1.400 Mitarbeitenden im Vordergrund, die jeden Tag mit unglaublichem Engagement für ihre Kunden da sind. 

Das Geschäftsaufkommen ist vor allem im Segment der Lebensversicherungen rückläufig, den Bereich Non-Life trifft, dass in Kriegsgebieten keine Versicherungen abgeschlossen werden dürfen. Dennoch konnte im Vorjahr ein Prämienplus von 20 Prozent erzielt werden. Treiber dahinter war die Kfz-Haftpflichtversicherung mit der grünen Karte für Fahrzeuge, die im Ausland unterwegs sind.

Und wir blicken mit Zuversicht in die Zukunft: Im Juni 2023 haben wir zusammen mit Lloyd's in London und Aon eine Versicherungszusammenarbeit zur Unterstützung des Wiederaufbaus der Ukraine beschlossen. Damit verpflichten sich Aon und Lloyd's gemeinsam mit der Vienna Insurance Group ausländische (Rück-)Versicherungskapazitäten zu schaffen, um die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der Ukraine zu stärken und die Erholung und den Wiederaufbau des Landes voranzutreiben. 

Über die Zusammenarbeit mit Aon als größtem amerikanischen Makler verschaffen wir uns dabei Zugang zum amerikanischen Finanzmarkt. Lloyds's bietet mit seinem Prämienvolumen von 54 Milliarden Euro weltweit den führenden Marktplatz für Handels-, Unternehmens- und Spezialrisikolösungen. 

Die VIG wird vor allem ihre lokale Versicherungsexpertise am ukrainischen Markt einbringen. Der Plan ist, das Fachwissen und die Fähigkeiten des ukrainischen Versicherungsmarktes zu nutzen, um das inländische Rückversicherungsangebot zu stärken und zu erweitern und damit einen wesentlichen Finanzmechanismus zur Unterstützung der Wiederaufbauarbeiten zu schaffen. In Russland sind wir nicht tätig. In Moldau würde im Falle eines Konflikts ebenfalls unsere Langzeitstrategie greifen, da wir selbstverständlich auch bei schwierigen Rahmenbedingungen als verlässlicher Partner agieren.

Im ersten Halbjahr steht für die VIG ein Gewinnplus von knapp 120 Prozent zu Buche. Welche Gründe sehen Sie dafür und wie sind Ihre Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr?
Dass wir trotz der zahlreichen Herausforderungen wie dem Krieg in der Ukraine, der hohen Inflation und den unsicheren Konjunkturprognosen ein sehr starkes Halbjahresergebnis 2023 aufweisen, liegt unter anderem an unserer hervorragenden Kapitalstärke und - wie erwähnt - an unserer stark regional ausgeprägten Geschäftsphilosophie, die rasches und individuelles Handeln ermöglicht.

Die Rahmenbedingungen werden absehbar herausfordernd bleiben, was auch das weiterhin schwache makroökonomische Umfeld und die volatilen Kapitalmärkte verdeutlichen. Hinzu kommen die Unwetterereignisse in diesem Sommer. Wir sind dennoch optimistisch und rechnen für das Gesamtjahr 2023 mit einem Ergebnis vor Steuern für die Gruppe in einer Bandbreite von 700 bis 750 Mio. Euro.

VWheute: Welchen Einfluss sehen Sie durch die aktuellen ökonomischen Entwicklungen - steigende Zinsen, Inflation, höhere Energiepreise - für die VIG - sowohl in der Leben- als auch der Sachsparte?

Hartwig Löger: Zum einen sorgen die steigenden Zinsen dafür, dass die Lebensversicherung als Vorsorgeform wieder an Attraktivität gewinnt, eine - nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung - wichtige Entwicklung. Zum anderen schmälert die hohe Inflation, der vor allem Österreich ausgesetzt ist, die Investitionsmöglichkeiten der Kunden. Die Inflation und auch die gestiegenen Energiepreise sind zudem Preistreiber in der Sachversicherung. Alle involvierten Dienstleister sind von den gestiegenen Materialkosten, Reparaturleistungen, höheren Stundenlöhnen etc. betroffen, die weitergegeben werden und letztendlich auch bei den Versicherungen zu Anpassungen der Prämien führen.

VWheute: Österreich wurde jüngst von schweren Naturkatastrophen heimgesucht: Mit welcher Schadenbelastung rechnet die VIG? Wie sollte die Versicherungsbranche künftig auf die Folgen des Klimawandels reagieren?

Hartwig Löger: Die Schätzungen unserer beiden österreichischen Gesellschaften im Juli und August, wobei auch Slowenien stark betroffen war, liegen bei rund 80 Mio. Euro brutto. Wir rechnen mit einer weiteren Verschärfung in den kommenden Jahren und auch die Beseitigung der durch Naturkatastrophen verursachten Schäden wird immer teurer. Hinzu kommt, dass die Risiken aus Naturkatastrophen nur schwer kalkulierbar sind und es daher auch für global agierende Rückversicherer immer schwieriger wird, die NatCat-Entwicklungen für die Risikoübernahme richtig zu bewerten. Einige Rückversicherer ziehen sich sogar aus dem Markt zurück, was wiederum zu steigenden Preisen und Kapazitätsengpässen führt.

VWheute: Welche Rolle sollte die Politik dabei einnehmen? Braucht es künftig eine Versicherungspflicht oder ein Opt-out-Modell, wie es der deutsche Branchenverband präferiert?

Hartwig Löger: Nachdem die Versicherungswirtschaft allein die Schäden nicht decken kann, plädieren wir für einen Schulterschluss mit politischen Entscheidungsträgern – die Konzepte dafür gibt es bereits. Belgien, Frankreich, Schweiz oder Spanien zeigen vor, wie derartige Modelle funktionieren und einen flächendeckenden Schutz der Bevölkerung ermöglichen können. Mir persönlich gefällt das belgische Modell sehr gut, das die Deckung von Naturkatastrophen um ein paar Euro als verpflichtenden Bestandteil in die Feuerversicherung einpreist. Dazu bedarf es in Österreich allerdings einer Anpassung des österreichischen Versicherungsvertragsgesetzes. Bis dato gab es viele - leider aber ergebnislose - Gespräche unter Vertretern der zuständigen Ministerien.

VWheute: Kurzer Blick in die Zukunft: Welche strategischen Ziele stehen in den kommenden drei bis fünf Jahren?

Hartwig Löger: Wir setzen unser Strategieprogramm mit den Schwerpunkten Wachstum, Profitabilität und Kundenzentrierung weiterhin konsequent um. Darüber hinaus arbeiten wir an unseren Kosten- und Prozessoptimierungsprogrammen und setzen dabei zunehmend auf Automatisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Kundenseitig bauen wir unsere Präsenz über Plattformen aus und reichern den klassischen Versicherungsschutz um digitale Innovationen und Services wie beispielsweise Assistance-Leistungen an. Eine vielfältige Kombination an Schwerpunktsetzungen, die unsere Marktpositionierung noch weiter stärken wird.

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Veröffentlicht am 07.11.2023
 
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