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R+V-Vorstand Endres: "Neue Zeiten brauchen neue Antworten"

R+V-Vorstand Klaus Endres. Quelle: Oliver Rüther / R+V

Klaus Endres ist ein Manager, der gerne einen Schritt nach vorne denkt. Obwohl die R+V als zweitgrößter Komposit-Versicherer im Markt gut und breit aufgestellt ist, sieht der 47-jährige Experte an einigen Stellen Handlungsbedarf bei der Entwicklung seines Vorstandsressorts. Ein Gespräch über schnelle Märkte, anspruchsvolle Kunden und politische Debatten.

VWheute: Herr Endres, wie laufen die Geschäfte im Komposit-Bereich?

Klaus Endres: Die R+V ist als zweitgrößter Komposit-Versicherer breit aufgestellt und als Genossenschaftsversicherer in einer besonderen Position. Komposit bei der R+V ist eine Erfolgsgeschichte, die wir fortschreiben wollen. Dabei müssen wir natürlich auf die veränderten Bedingungen reagieren.

Die Kundenbedürfnisse entwickeln sich weiter, etwa bei der Interaktion mit uns als Versicherer. Zudem sehen wir, dass sich der Versicherungsbedarf bei den Risiken verändert hat – beispielsweise in Bezug auf Nachhaltigkeit. Eine große Herausforderung ist auch der demografische Wandel bei unseren Mitarbeitenden, hier spüren wir zunehmend den Fachkräftemangel. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns weiterentwickeln: Neue Zeiten brauchen neue Antworten.

VWheute: Was bedeutet das konkret?

Klaus Endres: Wir entwickeln unsere Versicherungslösungen weiter und bieten zusätzliche – auch digitale - Interaktionswege an. Im Firmenkundenbereich beschäftigt uns das Zukunftsprojekt Industrie 4.0, also die Vernetzung von Menschen, Maschinen und Produkten. Zudem prüfen wir, welcher Versicherungsbedarf sich bei neuen Mobilitätsformen ergibt. Derzeit investieren wir massiv in unsere Digitalisierung. Wir haben wie andere große Versicherer verschiedene Bestandsführungssysteme, die schon etwas in die Jahre gekommen sind. Daher entwickeln wir ein neues, eigenes System, das alle Komposit-Sparten abdeckt. Dies ist natürlich ein großes Unterfangen. 

Ein weiteres wichtiges Thema ist für uns die Nachhaltigkeit. Beim Klimaschutz stellen wir uns die Frage, wie wir als Versicherer ein Vorreiter werden können. Ein Ansatz ist, dass wir unsere Kunden bei deren Nachhaltigkeitszielen begleiten. Hier spielen Elektromobilität oder alternative Energien wie Windkraft oder Fotovoltaik eine große Rolle. In diesem Bereich wollen wir unser Angebot erweitern. 

Ein Beispiel für unsere Pläne: Unsere Risk-Engineers beraten die Kunden schon lange beim Brandschutz. Künftig sollen sie die Unternehmen auch bei Nachhaltigkeitsthemen unterstützen. Natürlich müssen wir als Unternehmen auch im eigenen Haus aktiv werden. Dazu gehört unter anderem, dass wir in den Büros näher zusammenrücken, um Energiekosten zu sparen. Aber auch die Reduzierung von Dienstreisen oder von Papier steht auf der Tagesordnung. Um das alles erfolgreich umzusetzen, brauchen wir engagierte Mitarbeitende.

VWheute: Wie macht sich der demografische Wandel bei Ihnen konkret bemerkbar und was sind die neuen Anforderungen durch die Generation Z?

Klaus Endres: Wir bemerken eine grundsätzliche Veränderung im Kundenverhalten. Digitale Interaktionskanäle werden immer mehr genutzt. Allerdings gilt das nicht für alle Kunden in gleicher Weise. So kann man für die Generation Z nicht pauschal sagen, dass sie nur den digitalen Austausch will. Wir erleben unterschiedliche Bedürfnisse in allen Altersklassen. 

Da gibt es den über 80-Jährigen, der uns sagt: "Schicken Sie mir kein Papier, ich will meine Unterlagen digital." Und dann ist da der 25-Jährige, der zwar gerne im Internet unterwegs ist, aber so wichtige Dinge wie seine Altersvorsorge mit Menschen vor Ort besprechen und dann auf Papier ausgedruckt mitnehmen will. 

Das Klischee, die Jungen wollen nur digital und die Älteren nur Papier, stimmt nach unserer Erfahrung also nicht. Allerdings erreicht man die Generation Z verstärkt über soziale Medien.

VWheute: Wird die klassische Kfz-Versicherung angesichts neuer Mobilitätsformen noch eine Zukunft haben?

Klaus Endres: Der Wandel zu neuen Mobilitätsformen vollzieht sich nicht so schnell, wie man vielleicht denkt. Aktuell nimmt der Kfz-Bestand in Deutschland weiter zu, dabei wächst der Anteil der Elektrofahrzeuge. Wir gehen davon aus, dass die klassische Kfz-Versicherung in den nächsten Jahren weiter eine wichtige Rolle spielt. Natürlich sind wir bereit für den Wandel und bieten Versicherungslösungen für neue Formen der Mobilität wie zum Beispiel das Carsharing an. Zudem beschäftigen wir uns auch mit dem Thema Auto-Abo-Modelle, bei dem Kunden Fahrzeuge über einen Zeitraum von einigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren nutzen können. Auch wenn diese Kunden über kein eigenes Fahrzeug verfügen, muss adäquater Versicherungsschutz für derartige Modelle geboten werden.

VWheute: Wie läuft es bei Ihrem Logistikversicherer Kravag? Welche Rolle spielt die Debatte um eine stärkere Verlagerung von Waren von der Straße auf die Schiene?

Klaus Endres: Grundsätzlich läuft das Kravag-Geschäft sehr gut. Es wächst weiterhin; das gilt sowohl für die Beiträge als auch für die Anzahl der Kunden. Die Überlegungen, Waren auf die Schiene zu verlagern, begleiten wir sehr wohlwollend und bieten entsprechende Versicherungslösungen an. Allerdings beobachten wir auch hier nur langsame Veränderungen:

Obwohl der Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene minimal steigt, nimmt der Lkw-Verkehr auf den Straßen zu. Bei allem politischen Willen, den Schienenverkehr zu forcieren: Ich glaube, dass die Kapazitäten bei beiden Transportwegen begrenzt sind. Gefühlt sind sie schon jetzt unter Hochlast unterwegs. Bei den Lkw ist die Antriebsform ein wichtiges Zukunftsthema – Wasserstoff oder E-Mobilität werden in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Als Versicherer sind wir darauf eingestellt.

VWheute: Wo gibt es Baustellen und wie gehen Sie mit den aktuellen Folgen der hohen Inflation um?

Klaus Endres: Die Inflation spüren wir deutlich und müssen diese Entwicklung natürlich mit einkalkulieren. So erhöhen sich durch die Inflation die Kosten für Reparaturen, Baustoffe und Handwerker – die Regulierung von Schäden wird also teurer. Entsprechend deutlich legte beispielsweise der Baupreisindex zu, das wirkt sich auf die Beiträge aus.

"Der beste Schutz vor Naturkatastrophen ist die Vermeidung der Katastrophe - und nicht deren Versicherung."

Klaus Endres, Vorstand das Ressort Komposit-Versicherungen/Passive Rück bei der R+V Versicherung

VWheute: Was würde eine Elementarschadenpflichtversicherung ganz konkret für die R+V bedeuten, sollte sie denn von der Politik wirklich beschlossen werden?

Klaus Endres: Falls die Politik eine Pflichtversicherung für Elementarschäden beschließt, hätte dies natürlich auch bei der R+V Folgen. Ich glaube, bei uns wären die Auswirkungen aber geringer als bei anderen Versicherern. Marktweit liegt die durchschnittliche Ausstattung der Versicherten mit einem Elementarschutz bei etwa 50 Prozent. 

Zum Vergleich: Bei der R+V Wohngebäudeversicherung haben etwa 70 Prozent den Versicherungsschutz bei Naturgefahren, bei Neukunden liegt der Anteil sogar bei 80 Prozent. Bei einer möglichen Pflichtversicherung sehen wir noch viele ungeklärte Fragen. Da gibt es zum Beispiel die Diskussion über verschiedene Arten des Selbstbehaltes. Dies hätte Auswirkung auf die Höhe der Prämien. 

Eine weitere wichtige Frage: Gibt es das von den Versicherern vorgeschlagene Opt-out-Modell? Dadurch hätte der Kunde das Recht, den Versicherungsschutz vor Naturgefahren abzulehnen. Würde das dann auch bedeuten, dass er im Schadenfall keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen kann?

VWheute: Alles offene Fragen …

Klaus Endres: Was mir wichtig ist: Der Staat sollte nicht nur auf die Versicherungslösung schauen, sondern auch in die Prävention investieren. Der beste Schutz vor Naturkatastrophen ist die Vermeidung der Katastrophe - und nicht deren Versicherung. Es geht vor allem darum, Leib und Leben der Menschen zu schützen. Was hilft die beste Versicherungslösung, wenn es Tote gibt? Ich würde mir wünschen, die Flut im Ahrtal hätte nicht so furchtbare Folgen gehabt. Wir sollten alles daran setzen, dass so etwas nicht mehr passiert. 

Deshalb stellt sich die Frage: Wo darf man überhaupt bauen? Wäre ein Bauverbot in Hochwassergebieten eine Option? Prävention und Versicherungsschutz - beides muss Hand in Hand gehen. Was bei der Diskussion oft übersehen wird: Mehr als 90 Prozent der Menschen leben nicht in Regionen mit besonders hohem Überschwemmungsrisiko. 

Laut dem Zonierungssystem für Überschwemmungen, Rückstau und Starkregen ZÜRS reden wir typischerweise von den letzten ein bis zwei Prozent, die im höchsten Gefahrenbereich leben. Hier ist Versicherungsschutz dann auch relativ teuer. Abmildern könnte man das über Selbstbehaltsregelungen.

VWheute: Angesichts des Klimawandels werden die Risiken aber steigen. Was können die Versicherer bei der Prävention tun?

Klaus Endres: Naturkatastrophen können überall auftreten und ich fürchte, sie werden aufgrund des Klimawandels auch immer häufiger. Es geht ja nicht nur um Hochwasser, sondern auch um Starkregen oder ungewöhnliche Phänomene wie die Tornados vergangenes Jahr bei Paderborn. Als Versicherer sprechen wir natürlich Empfehlungen zu mehr Schutz vor Naturkatastrophen aus und bieten Beratung an. Zusätzlich ist der Staat am Zug. Er kann die Menschen dazu verpflichten, ihre Gebäude abzusichern. Er kann Baugebiete in gefährdeten Regionen freigeben - oder auch nicht. Gleichzeitig kann nur der Staat die entsprechende Infrastruktur zum Schutz vor Hochwasser zur Verfügung stellen.

VWheute: Was bedeutet der Klimawandel ganz konkret für die R+V und was bedeutet dies für die Branche? Welche Lösungsansätze brauchen die Versicherer?

Klaus Endres: Der Klimawandel trifft alle und wir alle müssen ihm gemeinsam aktiv entgegenwirken. Wir als Versicherer versuchen, auf die Politik einzuwirken, uns hier für mehr Klimaschutz starkzumachen. Selbstverständlich müssen wir auch als Unternehmen nachhaltig agieren. Die R+V kann den weltweiten Klimawandel natürlich nicht alleine aufhalten. Aber wir wollen unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Was können wir tun, damit unter den Vorzeichen des Klimawandels weiterhin Versicherungsschutz möglich ist? Wir müssen die Phänomene verstehen und in unserer Kalkulation berücksichtigen. Die Folgen des Klimawandels werden in unsere Preise einfließen, das ist unumgänglich.

VWheute: Kann es sein, dass Sie bestimmte Risiken ausschließen werden?

Klaus Endres: Noch bewegen sich die Auswirkungen des Klimawandels in einer Größenordnung, die für uns zu stemmen ist. Aber schon heute ist das nur im Zusammenspiel mit den Rückversicherern möglich. Allerdings wird der Rückversicherungsschutz deutlich teurer und das Angebot immer knapper. 

Ich sehe es als Selbstverständnis eines Versicherers, den Menschen Versicherungsschutz zu bieten. Für die nächsten Jahre bin ich zuversichtlich, dass das gelingt. Aber irgendwann kommen wir als Branche möglicherweise an unsere Grenzen. Schon jetzt werden hier und da Rufe laut, den Staat beim Schutz vor den Folgen des Klimawandels in die Pflicht zu nehmen.

VWheute: Inwieweit tangiert Sie die Frage des Cyberschutzes gerade bei den mittelständischen Unternehmen?

Klaus Endres: Wir bieten diesen Schutz natürlich an, aber vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen. Unser Fokus liegt auf der regionalen Präsenz, gerade über die Volksbanken und Raiffeisenbanken. Hier verzeichnen wir ein wachsendes Interesse an diesem Thema. Die besondere Herausforderung im Cybergeschäft ist das potenzielle Kumulrisiko, also dass mit einem Virus gleich eine große Zahl an Unternehmen angegriffen wird. Wenn wir auf die vergangenen Jahre blicken, ist die Schadenhäufigkeit bei unseren Cyber-Kunden unverändert.

VWheute: Wie läuft derzeit das Geschäft im Bankenvertrieb?

Klaus Endres: Da wir ein Mitglied der Genossenschaftlichen FinanzGruppe sind, hat der Vertrieb über die Volksbanken und Raiffeisenbanken eine große Bedeutung. Der Bankenvertrieb hat einen konstant hohen Anteil bei uns. Aber wir spüren, dass sich das Kundenverhalten im Zusammenspiel mit den Banken verändert. Die digitalen Wege spielen eine immer größere Rolle. Dies geht damit einher, dass die Zahl der Filialen reduziert wird. Damit verändert sich auch unsere Interaktion mit den Kunden. Wir sind stärker im Omnikanal-Vertrieb unterwegs – die Kunden können dasselbe Produkt in der Bank, am Telefon oder online abschließen.

VWheute: Welche Erfahrungen haben Sie aus Ihrer Zeit bei der Axa mitgenommen und worin sehen Sie die Unterschiede zwischen einem "klassischen" und einem Genossenschaftsversicherer?

Klaus Endres: Es gibt Themen, die alle Versicherer gleichermaßen betreffen, wie die zunehmende Digitalisierung, die Modernisierung der IT-Systeme, die Verbesserung der internen Prozesse, die Anpassung an verändertes Kundenverhalten oder die Nachhaltigkeit. Hier habe ich einen großen Erfahrungsschatz, den ich einbringe. Was ist hier anders? Die R+V ist ein genossenschaftlicher Versicherer und als Nummer zwei am deutschen Markt einer der ganz großen Player. 

Wie spürt man den genossenschaftlichen Aspekt des Versicherers? Ganz wichtig ist der Vertrieb über die Banken, der bei der R+V eine viel größere Bedeutung und Schlagkraft hat als bei anderen Versicherern. Außerdem ist die R+V ganz eng mit dem genossenschaftlichen Verbund verzahnt. Was mir positiv auffällt, ist die genossenschaftliche Kultur. Sie ist sehr stark auf Langfristigkeit und Verlässlichkeit ausgelegt. 

Große börsennotierte Unternehmen sind getrieben, den Aktienanalysten alle drei Monate die stets besten Zahlen vorzulegen. Das ist bei der R+V anders. Natürlich müssen auch wir auf die Zahlen schauen und kaufmännisch agieren. Aber wir sind nicht von diesem Drei-Monats-Takt getrieben. Wir haben die Freiheit, mittel- und langfristiger zu agieren und damit strategischer zu denken.

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Veröffentlicht am 05.06.2023
 
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