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Entscheidet Dresden die Wahl?

Dresden (Quelle: Bild von Tom auf Pixabay)

In der Dresdner Innenstadt ist kaum noch ein Laternenmast frei - rund um die Semperoper und die Frauenkirche buhlen die Parteien auf ihren Plakaten um die Wählergunst am kommenden Sonntag. Dabei könnte es ab kommenden Montag dort erst so richtig losgehen mit dem Wahlkampf. Denn die historische Altstadt gehört zu jenem Wahlkreis Dresden I, auf den sich alle Blicke richten könnten, falls es am Sonntag zu keinem eindeutigen Wahlausgang kommen sollte.

Schon bei den Bundestagwahlen vor drei Jahren hatte Dresden eine entscheidende Rolle gespielt. Während des Jahrhunderthochwassers 2002 standen auch Teile der sächsischen Landeshauptstadt unter Wasser - darunter der Zwinger und die Oper. Die Bilder gingen damals um die Welt - auch die von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der in die ostdeutschen Flutgebiete gereist war und Hilfe versprach. Später hieß es, Rot-Grün habe im Osten die entscheidenden Stimmen geholt.

Für den damaligen Unions-Kanzlerkandidaten, CSU-Chef Edmund Stoiber, könnte sein Albtraum Wirklichkeit werden: gerade dort, wo die "Frustrierten" seiner Meinung nach am stärksten sind, könnte sich möglicherweise die Bundestagwahl entscheiden. Dass Stadt an der Elbe nun wieder eine besondere Rolle spielen kann, scheint vielen Dresdnern aber nicht ganz geheuer zu sein, dass sie jetzt erst am 2. Oktober ihre Stimme abgeben dürfen und ihnen möglicherweise die ganze Republik auf die Finger schauen wird.

Wahlkreis entscheidet Ausgang?

So könnte der Wahlkreis Dresden I ganz besonders dann wichtig werden, wenn sich am kommenden Sonntag keine klaren Machtverhältnisse ergeben und der Abstand zwischen den beiden politischen Lagern nur hauchdünn ist. Nicht zu unrecht, verwies der Sprecher des sächsischen Landesamtes für Statistik, Manfred Jakoby, darauf, dass die SPD bei den Bundestagswahlen 2002 und 6.027 Stimmen mehr als die Union hatte - damit wurde Gerhard Schröder erneut Bundeskanzler anstelle seines Herausforderers Stoiber.

Die 219.000 Wähler im Wahlkreis Dresden I könnten daher bei einem ähnlichen Wahlausgang zum Zünglein an der Waage werden. Dresden werde damit zwar berühmt, ob das aber so gut sei, "ist eine andere Frage", meint der Rentner Manfred Berthold. Für Sebastian Lobert ist dies "eine unglaubliche Geschichte". Er befürchtet, dass man am Ende mit dem Finger auf seine Stadt zeigen werde - schließlich würde es eine Menge Leute geben, die mit dem Ausgang der Wahl unzufrieden seien. "Dann heißt es wieder, die doofen Ossis haben alles vermasselt", meint Lobert. Und für den Unternehmer Hennig Thiemann ist das ganze schlichtweg eine "Realsatire".

Wann sind Nachwahlen nötig?

Nötig geworden ist die Nachwahl in Dresden durch den Tod der NPD-Direktkandidatin Kerstin Lorenz. Wenn ein Direktkandidat für ein Bundestagsmandat kurz vor den Wahlen stirbt, muss der Kreiswahlleiter die Wahl absagen und eine sogenannte Nachwahl anordnen. Diese muss spätestens sechs Wochen nach der eigentlichen Hauptwahl stattfinden. Den genauen Termin bestimmt der jeweilige Landeswahlleiter. Dieses Verfahren ist in Paragraf 43 des Bundeswahlgesetzes (BWG) und in Paragraf 82 der Bundeswahlordnung (BWO) geregelt.

Demnach kann die Vertrauensperson des gestorbenen Direktkandidaten "binnen einer zu bestimmenden Frist" einen Ersatzkandidaten ernennen. Eine solche Vertrauensperson müssen die Kandidaten bereits bei ihrer Bewerbung bestimmen. Für den Ersatzkandidaten müssen jedoch keine Unterschriften von Unterstützern eingereicht werden. Ansonsten findet die Nachwahl "nach denselben Vorschriften und auf denselben Grundlagen wie die Hauptwahl" statt.

Bislang gab es vier Fälle, in denen es zu Nachwahlen kam:

  • Bei der Bundestagwahl 1961, als im Wahlkreis 151 (Cochem) der Direktbewerber der SPD verstarb.
  • Bei der Bundestagwahl 1965, als im Wahlkreis 135 (Obertaunuskreis) der Direktkandidat der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher Selbstmord beging und im Wahlkreis 236 (Schweinfurth) der Direktkandidat der Deutschen Friedensunion (DFU) verstarb.
  • Bei der Bundestagwahl 1987, als im hessischen Wahlkreis Walldorf-Mörfelden Unbekannte in ein Wahllokal stürmten und beinahe alle Wahlzettel verbrannten.
  • Bei der Bundestagwahl 2002, als im Wahlkreis 295 (Zollernalb-Sigmaringen) der CDU-Direktkandidat und im Wahlkreis 230 (Passau) der PDS-Direktkandidat verstarben. Die Nachwahlen fanden jedoch am Tag der Hauptwahl statt.

Die Machtverhältnisse wurden dadurch jedoch nicht entscheidend verändert.
Schönhuber neuer Direktkandidat

Die NPD will nun den früheren Vorsitzenden der Republikaner, Franz Schönhuber, ins Rennen schicken. Mehr als ein Jahrzehnt galt er als Schlüsselfigur der rechten Szene in Deutschland. 1983 gründete er mit CSU-Abtrünnigen die Republikaner und war lange Zeit deren Bundesvorsitzender. Nach jahrelangem Richtungsstreit und Querelen um seinen Führungsstil kehrte er schließlich 1995 seiner eigenen Partei den Rücken.

In der Folgezeit bemühte sich Schönhuber vergeblich um den Aufbau einer europäischen Rechtsbewegung. 1998 ließ sich der einstige Chef der Republikaner zudem von Gerhard Frey als Zugpferd für dessen rechtsextreme DVU im Bundestagswahlkampf gewinnen. Bei seiner Nominierung berief sich Schönhuber selbst auf seine Dresdner Vergangenheit - in der Elbstadt habe er seine Schul- und Jugendzeit verbracht.

Bei den vergangenen Bundestagswahlen spielten die Rechten jedoch keine Rolle. Selbst bei den Landtagswahlen, als die NPD landesweit 9,2 Prozent der Stimmen holte, war die Partei in Dresden weit abgeschlagen. Mit der Nominierung Schönhubers versucht die NPD nun, das allgemeine Interesse an der Nachwahl für sich zu nutzen und zu punkten.

Debatte um mögliche Wahlverzerrung

Die Wahlverschiebung in Dresden hatte jedoch auch eine Debatte um eine mögliche Verzerrung des Bundestagwahlergebnisses ausgelöst. Der FDP-Rechtsexperte Max Stadler sagte, die Wähler des Wahlkreises Dresden I könnten durch die Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses beeinflusst werden. Die betroffenen Direktkandidaten in diesem Wahlkreis - Andreas Lämmel (CDU) und Peggy Bellmann (FDP) - sprachen sich in der Bild-Zeitung für eine Verschiebung der Stimmenauszählung aus.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel wies diese Forderungen im ARD-Morgenmagazin jedoch zurück. Dies könne "man vielleicht in Afrika irgendwann machen, dass man zwei oder drei Wochen später das Wahlergebnis verkündet, nicht aber in der Bundesrepublik". Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass das vorläufige Endergebnis noch am Wahlabend verkündet werden darf - verwies aber ausdrücklich auf die Möglichkeit, nach dem 2. Oktober eine Wahlbeschwerde einzulegen. 

Das endgültige Wahlergebnis wird jedoch erst nach dem Urnengang in Dresden verkündet werden. Dieses kann zwar vom vorläufigen Ergebnis am Wahlabend abweichen - die Differenzen werden, wenn überhaupt, wohl jedoch eher gering ausfallen.

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