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Laura Gersch: "Gleichberechtigung hat viele Facetten"

Laura Gersch (Quelle: Allianz)

Die Allianz hat kürzlich für einen neuerlichen Paukenschlag gesorgt: Der Versicherungskonzern streicht in der betrieblichen Altersversorgung die volle Beitragsgarantie ganz und will die Garantien bis auf 60 Prozent senken. "Allerdings ändern sich die Mindestgarantieanforderungen für die Zusageart Beitragszusage mit Mindestleistung in der bAV nicht, wie übrigens für Riester auch nicht: Es bleibt bei dem gesetzlich geforderten Garantieniveau von 100 Prozent", begründet Allianz-Vorständin Laura Gersch im VWheute-Sommerinterview den Schritt.

VWheute: Die Pandemie hält uns nun seit mehr als einem Jahr in Atem. Wie hat sich die Branche in dieser Zeit geschlagen? Und wie sieht Ihre bisherige Bilanz für 2020 aus?

Laura Gersch: Die Allianz Lebensversicherung und die Lebensversicherer in Deutschland generell sind sehr robust durch das schwierige Jahr 2020 gekommen. In der Allianz Leben konnten wir im Jahr 2020 sogar den zweithöchsten Umsatz in der Geschichte erzielen. Gegenüber dem absoluten Rekordjahr 2019 haben sich die Beitragseinnahmen zwar um 5,4 Prozent verringert, wir haben aber damit den Wert des ebenfalls starken Jahres 2018 um 16,5 Prozent übertroffen.

Die Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung in und nach der Pandemie-Phase hat manche zunächst vielleicht darin zögern lassen, für die Zukunftsvorsorge langfristige Entscheidungen zu treffen. Das ist auch verständlich. Und zugleich spüren wir, dass Zukunfts- und Altersvorsorge für unsere Kundinnen und Kunden weiterhin zentrale Themen bleiben und in ihrer Bedeutung für die Menschen in Deutschland noch zunehmen. Auch biometrische Angebote haben in der Pandemie an Bedeutung gewonnen: Die Absicherung von Lebensrisiken wie Risikolebensversicherung oder Berufsunfähigkeitsschutz ist für viele wieder in den Mittelpunkt gerückt.

VWheute: Viele Unternehmen - gerade in den Bereichen Hotels und Gastronomie oder im Tourismus - haben in den letzten anderthalb Jahren durch die Einschränkungen wirtschaftlich massiv gelitten. Wie haben sich die Folgen der Pandemie bislang auf das Firmenkunden-Geschäft der Allianz ausgewirkt? Und welche mittel- bis langfristigen Folgen erwarten Sie für die Zukunft?

Laura Gersch: Die Auswirkungen der Pandemie haben einige Branchen besonders hart getroffen. Wir haben unseren Firmenkunden und den Vorsorgesparern bereits zum Beginn der Pandemie in Frühjahr 2020 Angebote wie z. B. Beitragsstundungen gemacht, um sie in Zeiten geringerer Einnahmen und Einkommen zu stärken.

Allerdings haben wir im Geschäft mit den Firmenkunden kaum Rückgänge zu verzeichnen. Ich erwarte eher, dass die Nachfrage in den kommenden Jahren wieder steigt, nachdem wir auch Anzeichen für eine deutliche Erholung der Wirtschaft sehen.

"Ein Verkauf von Lebensversicherungsbeständen steht bei Allianz Leben in Deutschland nicht zur Diskussion. Es gibt natürlich Marktteilnehmer, die in der aktuellen Situation zu anderen Schlüssen kommen können."

Laura Gersch, Vorständin Firmenkunden und Personal bei der Allianz Lebensversicherung

VWheute: Blicken wir kurz auf die Lebensversicherung: Das Beratungsunternehmen Deloitte rechnete jüngst mit weiteren Bestandsverkäufen - insbesondere bei kleinen und mittleren Versicherungsunternehmen. Wie schätzen Sie derzeit die aktuelle Situation der Lebensversicherer ein und welche Zukunftsszenarien erwarten Sie in den kommenden Jahren?

Laura Gersch: Eins gleich vorweg: Ein Verkauf von Lebensversicherungsbeständen steht bei Allianz Leben in Deutschland nicht zur Diskussion. Es gibt natürlich Marktteilnehmer, die in der aktuellen Situation zu anderen Schlüssen kommen können.

Ich sehe für die Lebensversicherung auch in den kommenden Jahren ein enormes Wachstumspotenzial. Blicken wir hier einmal auf zwei wesentliche Kriterien: Die Umbrüche in der Branche und die notwendige Transformation unserer Wirtschaft.

Der Neustart nach der Pandemie ist mit enormen Herausforderungen in vielen Bereichen von Wirtschaft und Sozialpolitik verbunden: Das Rentensystem ist längst durch die demografische Entwicklung belastet, zugleich steht der weitere Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit auf der Agenda - beides mit dem Ziel, die Zukunft der nachfolgenden Generationen zu sichern. Die Lebensversicherungswirtschaft wird ihren Beitrag dazu leisten.
Und das kann sie noch besser als vor Jahren, denn wir sind heute digitaler und flexibler als je zuvor, haben moderne Angebote auf dem Markt, setzen weiterhin auf exzellente Beratung und eine Kombination aus digitaler und persönlicher Betreuung.

VWheute: Die Allianz will die Beitragsgarantien in der bAV auf bis zu 60 Prozent kürzen. Was sind die Gründe für diese Entscheidung und welche Produkte sind davon betroffen? Und was bedeuten die Pläne der Allianz für die Bestandsverträge?

Laura Gersch: Wir gehen jetzt den Weg konsequent weiter, Neuerungen in der Lebensversicherung umzusetzen und damit die Altersvorsorge attraktiv, sicher und langfristig zukunftsfähig zu gestalten. Seit Januar 2021 fokussiert sich Allianz Leben im Produktangebot der Altersvorsorge auf Lösungen mit zeitgemäßen Garantien, die je nach Kundenwunsch am Ende der Ansparphase auf einem Niveau von mindestens 90, 80 oder 60 Prozent der gezahlten Beiträge liegen.

Das Ziel: höhere Freiheitsgrade in der weltweiten, breit diversifizierten Kapitalanlage, und damit trotz Niedrigzins weiter Renditechancen für alle Kunden. Nun folgt der nächste Schritt: In der betrieblichen Altersversorgung richtet sich der Blick noch stärker auf die Zusageart der beitragsorientierten Leistungszusage, weil sie flexibel verschiedene Garantieniveaus ermöglicht. Hier steht ein Niveau von 80 Prozent im Fokus, auf Wunsch der Kunden bietet die Allianz Leben auch 60 Prozent oder 90 Prozent an.

VWheute: Die Beitragszusage mit Mindestleistung ist danach ein "Auslaufmodell", heißt es. Teilen Sie diese Aussage? Und warum haben solche Zusagen keine Zukunft mehr?

Laura Gersch: Es geht einfach um die aktuelle Situation: Die Zinsen sind und bleiben wohl länger sehr niedrig und zugleich wird der Höchstrechnungszins am 1. Januar 2002 von 0,9 Prozent auf 0,25 Prozent sinken. Allerdings ändern sich die Mindestgarantieanforderungen für die Zusageart Beitragszusage mit Mindestleistung in der bAV nicht, wie übrigens für Riester auch nicht: Es bleibt bei dem gesetzlich geforderten Garantieniveau von 100 Prozent. Solange sich diese Voraussetzungen nicht ändern, ist die BZM für das Neugeschäft auf Sicht im aktuellen Rahmen nicht mehr darstellbar und mit Blick auf eine zeitgemäße Balance zwischen Renditechancen und Sicherheit auch nicht mehr sinnvoll.

Wir bieten die BZM daher nur noch übergangsweise, um Arbeitgebern die Ausrichtung auf eine zukunftsorientierte betriebliche Altersversorgung zu ermöglichen: Seit Juli 2021 schließt die Allianz für die BZM keine neuen Gruppenverträge mehr ab, im Jahr 2022 sind in bestehenden Gruppenverträgen übergangsweise noch Abschlüsse über das Vorsorgekonzept Perspektive möglich. Der volle Fokus liegt jedoch auf der beitragsorientierten Leistungszusage mit 80 Prozent Beitragsgarantie (bzw. 60 Prozent oder 90 Prozent). Die garantierten Leistungen der bereits abgeschlossenen Versorgungen ändern sich dadurch nicht.

VWheute: Gleichzeitig gilt die bAV als wichtige Säule der Altersvorsorge: Schreckt die Entscheidung potenzielle Kunden nicht eher ab?

Laura Gersch: Nein, weil wir genau das tun, was unsere Kundinnen und Kunden von uns erwarten: Wir bieten eine moderne, zukunftsfähige Vorsorge und treffen die dafür nötigen Entscheidungen. Jeder weiß aus seinem persönlichen Umfeld, dass es null Zinsen aufs Ersparte gibt, dass sogar Negativzinsen auf Spareinlagen drohen. Aber in der betrieblichen Versorgung wie auch bei der privaten Vorsorge möchten die Menschen die Chance auf Rendite, verbunden mit den Sicherheiten eines starken Partners und weltweiten Investors wie der Allianz.

In der bAV sorgen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam wirkungsvoll für die Zukunft vor und schaffen so den Grundstock für ein zusätzliches Einkommen. Das wird für die Menschen immer wichtiger. Und daher, davon bin ich überzeugt, ist und bleibt die bAV Wachstumsfeld.

 "In der bAV und in der privaten Vorsorge müssen wir stärker auf kapitalmarktnahe Angebote mit höheren Freiheitsgraden in der Kapitalanlage setzen, um damit die Renditechancen nachhaltig zu erhöhen." 

Laura Gersch, Vorständin Firmenkunden und Personal bei der Allianz Lebensversicherung

VWheute: Im September steht die nächste Bundestagswahl an. Ein zentrales Thema ist dabei die Zukunft der privaten Altersvorsorge. Allen voran steht die Riester-Rente derzeit massiv in der Kritik, einige Parteien wollen diese gar abschaffen und durch ein anderes Standardprodukt ersetzen. Wie bewerten Sie derzeit die politische Debatte um Riester und welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung mit Blick auf die private Altersvorsorge?

Laura Gersch: Es lohnt sich, an Verbesserungen der Riesterrente zu arbeiten: Immerhin ist Riester hinsichtlich Verbreitung die weltweit erfolgreichste freiwillige staatlich geförderte Altersvorsorge mit aktuell über 16 Millionen abgeschlossenen Verträgen in Deutschland. Und vor allem: Riester ist sehr häufig der Einstieg für Frauen oder junge Leute in die Vorsorge - mehr als die Hälfte der Riester-Neukunden bei Allianz Leben in Deutschland sind unter 35 Jahre alt. Und Riester ist wichtig für die Vorsorge von Frauen: unter allen Riester-Kunden sind Frauen mit 57 Prozent die klare Mehrheit.

Welche Weichen die Politik in der Altersvorsorge stellt, wird sich nach der Bundestagswahl zeigen. Aber eins ist mir wichtig, und das betrifft alle, die sich an der Debatte um die Altersvorsorge beteiligen: Wir sprechen in Deutschland häufig zu negativ über Vorsorge. Das entmutigt Menschen, aktiv und überzeugt für die Zukunft vorzusorgen. Wir müssen in Deutschland eine Diskussion führen, die Menschen Mut macht, für ihre Zukunft und für das Alter vorzusorgen.

Ich bin übrigens davon überzeugt, dass wir in Deutschland ein bewährtes System der Altersvorsorge haben, um das uns die Welt beneidet: Es basiert auf den drei Säulen gesetzliche Rente, betriebliche Versorgung und private Vorsorge. Und daher heißt mit Blick auf den demografischen Wandel und ein Marktumfeld von Null- und Negativzinsen nun unser aller Aufgabe in der Altersvorsorge: reformieren, modernisieren, optimieren! In der bAV und in der privaten Vorsorge müssen wir stärker auf kapitalmarktnahe Angebote mit höheren Freiheitsgraden in der Kapitalanlage setzen, um damit die Renditechancen nachhaltig zu erhöhen. Nicht zuletzt brauchen wir dazu in der aufsichtsrechtlichen Regulierung Flexibilität und Sicherheit gleichermaßen - und beides ist möglich.

VWheute: Die Grünen habe mit Annalena Baerbock erstmals eine Kanzlerkandidatin gekürt. Was würde die Wahl einer weiteren Frau als Nachfolgerin von Kanzlerin Merkel für die Gleichberechtigung von Mann und Frau bedeuten?

Laura Gersch: Alleine, dass wir uns diese Frage stellen, zeigt doch: Wir sind auf dem Weg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Das Thema Gleichberechtigung hat viele Facetten in allen gesellschaftlichen Bereichen. Für mich bedeutet Gleichberechtigung, dass alle gesellschaftlichen Gruppen überall dort am Tisch sitzen, wo Entscheidungen getroffen werden. Jede und jeder von uns kann hier in seinem Umfeld einen ganz persönlichen Beitrag leisten. Als Allianz stehen wir unmissverständlich für Gleichberechtigung, Vielfalt und Inklusion - und das jeden Tag. Auch ich persönlich nehme mir das jeden Tag vor - ganz aktuell und konkret zum Beispiel dadurch, dass wir auf das Gender Pension Gap aufmerksam machen. Diese geschlechtsspezifische Lücke in der Altersvorsorge liegt laut OECD bei 46 Prozent - das ist ein Zustand, den wir nicht einfach so hinnehmen können und wollen.

VWheute: Laut einer aktuellen Allianz-Studie zum Gender Pay Gap ist 80 Prozent der Frauen der Einkommensunterschied von Männern und Frauen im Alter nicht bewusst. Worin sehen Sie die Gründe für diese Entwicklung?

Laura Gersch: Mit Blick auf Gründe möchte ich drei nennen: erstens, Frauen verdienen weniger während ihres Erwerbslebens, in Deutschland dieses Jahr 18 Prozent. Die Schere geht insbesondere nach der Geburt des ersten Kinds auseinander. Und dann folgt zweitens eine deutlich höhere Teilzeitquote bei Frauen. Mütter arbeiten zu 66 Prozent in Teilzeit während nur sechs Prozent der Väter dies tun. Hinzu kommen komplette Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit, etwa für die Pflege von Angehörigen. Die unbezahlte Care Arbeit ist in Deutschland noch sehr ungleich zuungunsten der Frauen verteilt. Und drittens leben Frauen länger, sie müssten sogar mehr Geld zur Verfügung haben, wenn sie in Rente gehen.

Während gesellschaftlich viel über den ersten Grund, also das Gender Pay Gap, diskutiert wird, machen sich die wenigsten bewusst, dass die Unterschiede beim Alterseinkommen deutlich höher sind. 80 Prozent der Frauen in Deutschland war das Gender Pension Gap in unserer Studie kein Begriff. Da verwundert es nicht, dass z.B. viele Frauen während ihrer Elternzeit ohne groß darüber nachzudenken die Zuzahlungen für ihre Betriebsrente pausieren. In unseren Gesprächen mit vielen betroffenen Frauen kam klar raus, dass die wenigsten mit ihrem Partner diskutieren, wie sie diese Beiträge aus dem Familieneinkommen bestreiten können.

VWheute: Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf diese Situation?

Laura Gersch: Durch Corona hat sich diese Situation noch einmal verschärft. Einige Studien, z. B. vom World Economic Forum, zeigen auf, dass wir uns auf dem Weg zur Gleichberechtigung rückwärts entwickelt haben. Insbesondere Frauen sind verstärkt zu Hause geblieben, um Homeschooling und Kinderbetreuung stemmen zu können. Das ist eine enorme Leistung, aber auch eine mit finanziellen Folgen für die Altersvorsorge. Ich wünsche mir, dass sich alle auch zu den langfristigen Auswirkungen solcher Entscheidungen Gedanken machen und entsprechende Vorsorge treffen.

So offen Paare über die Notwendigkeit diskutiert haben, wer beruflich zurücksteckt, so selbstverständlich müssen sie auch diesen Punkt besprechen und Ausgleiche schaffen. Das wollen wir mit unserer Initiative #equalpension ändern und klar die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Mich stimmt zuversichtlich, dass die Frauen, die sich des Gender Pension Gaps und ihrer finanziellen Situation bewusst sind, deutlich besser vorgesorgt haben. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir so einen Beitrag zur Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft leisten können: Wenn die vorsorgen, die es können, dann stärkt das das Sozialsystem und unterstütz damit diejenigen, die nicht dazu in der Lage sind.

VWheute: In Ihrem VWheute-Interview letztes Jahr sagten Sie, dass "diverse Teams grundsätzlich erfolgreicher seien als homogene Teams". Inwieweit haben Corona und Homeoffice diese Entwicklung befeuert?

Laura Gersch: In der Allianz waren wir teilweise zu 90 Prozent im Homeoffice - und das praktisch von einem Tag auf den anderen. Wir haben es geschafft, uns in viele tausend Einzelbüros aufzuteilen und doch virtuelle Teams zu etablieren und als solche schlagkräftig zu agieren. Ich bin überzeugt, dass das gelungen ist, weil wir schon weitgehend diverse Teams haben: nicht nur divers nach Geschlecht oder Alter, sondern auch in unterschiedlichen Fähigkeiten, Erfahrungen, Fertigkeiten, Einstellungen.

Wer so schnell einen solchen Umbruch bewältigen will, der braucht viele gute Ideen, viele unterschiedliche Stärken, die sich ergänzen, und nicht Uniformität. Oder ganz einfach gesagt: Erfolgreiche Teams bestehen aus Kolleginnen und Kollegen, die eine Herausforderung aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, kreativ und gemeinsam Lösungen erarbeiten und die das Wir mehr im Blick haben als das Ich. Ich bin froh bei der Allianz in einem solchen Team zu arbeiten.

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Veröffentlicht am 07.07.2021
 
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