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Ist eine Stasi-Behörde nötig?

Quelle: Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Für einen Augenblick schien es, als sei es mit der Friedfertigkeit der DDR-Wende vorbei: am 15. Januar 1990 zogen Zehntausende Demonstranten zur Stasi-Zentrale in der Normannenstraße im damaligen Ost-Berlin, um gegen die zögernde Auflösung des DDR-Geheimdienstes zu protestieren. Als die Demonstranten schließlich in das Gebäude eindrangen, war die Wut nicht mehr zu stoppen.

Räucheraal und Krabben auf der Kantinen-Speisekarte, Lagerräume mit Roastbeef und Haifischflossensuppe in Dosen gefüllt und holzgetäfelte Konferenzräume. Statt Stasi-Akten gab es diesen für DDR-Verhältnisse ungewohnte Luxus. Schließlich flogen Möbel und Akten aus den Fenstern, Porträts des ehemaligen DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker und des früheren sowjetischen Parteichefs Leonid Breschnew wurden zerstört. Bis heute halten sich Gerüchte, dass die wütende Menge in den so genannten Versorgungskomplex "abgelenkt" wurde. Außerdem gibt es weiter Spekulationen, dass unter den Demonstranten auch Mitarbeiter westlicher Geheimdienste gewesen sein sollen, die gezielt in bestimmte Räume vordrangen.

Quelle: Terra X History auf Youtube

Eigentlich waren die Demonstranten einem Aufruf des Neuen Forums gefolgt, um gegen die Weiterarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit zu protestieren. Aufgeschreckt von den Nachrichten aus der Stasi-Zentrale versuchten einige Bürgerrechtler sowie der damalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, die Demonstranten zu beruhigen. Doch erst am Abend entspannte sich die Lage wieder - verletzt wurde niemand. In einer Meldung der DDR-Nachrichtenagentur ADN hieß es: "Ein Bürgerkomitee hat in der Normannenstraße das Kommando übernommen". Die Polizei schätzte es außerdem als Verdienst der Bürgerkomitees und Oppositionsgruppen ein, dass es keine Toten und Schwerverletzten gegeben hatte.

Bürger besiegeln Ende der "Stasi"

Dennoch besiegelte der Sturm auf die Stasi-Zentrale den endgültigen Untergang des DDR-Geheimdienstes. Es sei ein einmaliges historisches Ereignis, dass einfache Bürger einen aktiven Geheimdienst zu Fall brachten, sagte die frühere Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, die heute die Stasi-Unterlagen-Behörde leitet. Nach den damaligen Erkenntnissen der Bürgerkomitees, welche die Auflösung der Stasi nach der Wende im Herbst 1989 überwachten, waren Anfang 1990 noch Tausende Geheimdienstler im Dienst. Und diese waren vor allem damit beschäftigt, die angelegten Stasi-Akten klammheimlich in den Reißwölfen verschwinden zu lassen. Dass es jedoch nicht mehr wurden und viele Akten gerettet wurden, sei letztlich auch dem Sturm auf die Stasi-Zentrale zu verdanken gewesen, hieß es. Die Stasi-Verwaltungen in den Bezirken waren schon zuvor besetzt worden.

In der Folge der Ereignisse setzten ostdeutsche Bürgerrechtler und Parlamentarier durch, dass die Akten 1990 dem Sonderbeauftragten Joachim Gauck unterstellt wurden. Nach zähem Ringen wurde dies auch in den Einigungsvertrag aufgenommen und in einem besonderen Gesetz verankert - die Grundlage für die heutige Stasiaktenbehörde.

Flagge der DDR (Quelle: Bild von Chickenonline auf Pixabay)

Gegen das Vergessen

Gauck war jedoch nicht nur der Mann, die Akten schlicht verwaltete - er hielt zugleich wichtige Erinnerungen wach. Nicht, dass die Deutschen durchaus das Recht hätten zu vergessen - ein "gesegnetes Vergessen", wie es der einstige Pfarrer nannte, dürfe es aber erst geben, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet ist. "Alles andere ist nicht Vergessen, sondern Verdrängen", sagte Gauck. Denn wie ein Patient der Psychotherapie könne die Gesellschaft nur geheilt werden, wenn sie sich auch mit einem schmerzenden teil der Vergangenheit auseinandersetze.

Dass Gauck nach der Wiedervereinigung die Leitung der Behörde angetragen wurde, war letztlich nur folgerichtig. So galt seine Rostocker Gemeinde zu DDR-Zeiten als ein Zentrum der Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsbewegung. Zudem zählte er im Herbst 1989 zu den Mitbegründern des Neuen Forums. Den etablierten Parteien verschloss sich Gauck jedoch, weil er "links, liberal und konservativ" zugleich sei.

Inzwischen hält er die Erinnerung noch auf Vorträgen wach. Als Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie" widmete sich Gauck später nicht mehr nur der Aufbereitung der sozialistischen Geschichte Deutschlands, sondern auch der Aufbereitung des Nationalsozialismus.

Genau 15 Jahre nach dem Sturm auf die Stasi-Zentrale würdigte die Kulturstaatsministerin der Bundesregierung, Christina Weiss (parteilos), die Besetzung als "mutigen und emanzipierten Schritt". Ohne diese couragierte Demonstration des Bürgerwillens wäre die umfassende Aufarbeitung des Überwachungs- und Unterdrückungssystems der DDR-Staatssicherheit nicht möglich gewesen. Gleichzeitig warnte Weiss vor einem "schludrigen Umgang" mit der SED-Diktatur. So dürfe die Geschichte nicht geschönt, sondern vielmehr differenziert betrachtet werden.

Marianne Birthler, ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten, betrachtete die Erstürmung der Stasi-Zentrale als politisches Signal und die Geburtsstunde ihrer Behörde. "Doch die Hauptaufgabe unserer Arbeit ist nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart und Zukunft", sagte Birthler.

Auflösung der Behörde?

Dennoch steht die Behörde Birthlers heute mehr denn je zur Disposition. So wurde Ende vergangenen Jahres ein internes Papier aus dem Haus der Kulturstaatssekretärin bekannt, wonach die Behörde Birthlers mittelfristig aufgelöst werden sollte. Die Stasi-Unterlagen sollten demnach in das Bundesarchiv nach Koblenz überführt werden, die Forschungsaufgaben der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur übertragen werden.

Auch wenn Weiss, die zum Jahreswechsel die Zuständigkeit für die Birthler-Behörde von Bundesinnenminister Otto Schily übernommen hatte, inzwischen klargestellt hatte, dass das Papier "gegenstandslos" sei. Die Debatte um die Zukunft der Mammut-Behörde mit 14 Außenstellen und 2.300 Mitarbeitern ist trotzdem eröffnet. So warnten ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Politiker aller Parteien davor, die Existenz der Behörde in Frage zu stellen. 

Auch Birthlers Vorgänger Gauck sieht den Zeitpunkt, die Stasi-Akten-Behörde, in ihrer jetzigen Form zu schließen, ist für ihn noch lange nicht gekommen. "Ich sehe für die nächsten 15 bis 20 Jahre keine bessere Lösung als die, die wir damals gefunden haben", sagte Gauck. Die Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, Monika Griefhahn, regte jedoch an, die Behörde in ein Gesamtkonzept zum Gedenken an die SED-Diktatur einzubinden. Insbesondere die Außenstellen stehen dabei zur Disposition.

Birthler signalisierte jedenfalls, dass sie sich der Debatte um die Zukunft ihrer Behörde keineswegs entziehen will. So dürfe es zwar keine "Denkverbote" geben, aber eine Einlagerung der Stasi-Akten im Bundesarchiv sei im Moment "keine glückliche Idee". So gingen allein im vergangenen Jahr knapp 94.000 Anträge auf Akteneinsicht ein. Einen regelrechten Boom gibt es zudem bei den Überprüfungen der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst. Allein 2004 gingen 70.000 Anträge ein - etwa acht Mal soviel wie im Vorjahr

Der Grund: die Ämter und Behörden können ihre Mitarbeiter nur noch bis 2006 auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit hin überprüfen, dann läuft die entsprechende Gesetzesregelung aus. Und damit verliert die Behörde eine ihrer großen Aufgaben - was den Ruf nach ihrer Auflösung lauter werden ließ. Mit Wirkung zum 17. Juni 2021 wurde die Behörde aufgelöst und in die Zuständigkeit des Bundesarchivs überführt.

Kurzinformation: Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS)

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war der Inlands- und Auslandsgeheimdienst der ehemaligen DDR. Gleichzeitig war das MfS auch die Ermittlungsbehörde für politische Straftaten. Innenpolitisch diente die "Stasi" vor allem als Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument gegenüber der eigenen Bevölkerung. Im Sprachgebrauch der SED galt das MfS als "Schild und Schwert der Partei". Gegründet wurde das MfS am 8. Mai 1950 - zwischen 1957 und 1989 wurde es von Erich Mielke geleitet, der für den Aufbau des Überwachungssystems in der DDR hauptverantwortlich war. Nach der Wende wurde das MfS zunächst in "Amt für Nationale Sicherheit (AfNS)" umbenannt. Am 13. Januar 1990 wurde es schließlich aufgelöst.

Am 29. Dezember 1991 verabschiedete der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit das sogenannte "Stasi-Unterlagen-Gesetz". Dessen zentrales Anliegen war die vollständige Öffnung aller Akten der ehemaligen Staatssicherheit. Sichergestellt wurde dies durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). Dieser verwaltete und erforschte die Akten und Dokumente des früheren MfS. Von März 2011 bis zu seiner Auflösung im Juni 2021 wurde das Amt vom Journalisten Roland Jahn - einem ehemaligen SED-Gegner und DDR-Bürgerrechtler - geleitet.

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