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Nur eine Frage des Vertrauens?

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Bereits fünf Mal wurde die Vertrauensfrage in der Bundesrepublik Deutschland von einem Kanzler gestellt. Erst zwei Mal gab es dagegen aus Bundesebene ein konstruktives Misstrauensvotum. Doch wo liegen die Unterschiede, und welche Rolle haben Vertrauensfragen und Misstrauensvoten in der Vergangenheit der Bundesrepublik gespielt?

Das sogenannte "konstruktive Misstrauensvotum" ist auch im internationalen Vergleich ein Novum. Danach kann der Bundestag dem Bundeskanzler gemäß Artikel 67 des Grundgesetzes nur dann das Misstrauen ausgesprochen werden, indem "er mit Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen". Der Bundespräsident muss diesem Gesuch entsprechen. Eine bloße Ablehnung des Bundeskanzlers reicht also nicht aus. Das Misstrauensvotum ist auch in allen Landesverfassungen der Bundesländer verankert - mit Ausnahme von Bayern. Hier muss der Ministerpräsident nach Artikel 44, Absatz 3 der Bayerischen Verfassung zurücktreten, "wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen".

Der Unterschied zur Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes besteht vor allem darin, dass die Initiative in diesem Fall vom Bundeskanzler selbst ausgeht und nicht vom Bundestag gegen ihn vorgegangen wird. Demnach kann der Bundeskanzler im Parlament den Antrag stellen, ihm das Vertrauen auszusprechen. Erfolgt dies nicht, kann er dem Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages vorschlagen.

Die Weimarer Verfassung von 1919 hatte im Gegensatz zum Grundgesetz jedoch nur ein sogenanntes "destruktives Misstrauensvotum" vorgesehen. So war jede Reichsregierung nach Artikel 54 auf das Vertrauen des Reichstages angewiesen. Wurde einem Mitglied der Reichsregierung dieses Vertrauen entzogen, musste es zurücktreten. Darin bestand jedoch die Gefahr, dass eine Reichsregierung von einer Mehrheit im Parlament gestürzt oder durch das Misstrauen gegenüber einzelnen Ministern destabilisiert werden konnte, ohne dass diese Mehrheit auch einen gemeinsamen Regierungswillen hatte.

Nach dem Scheitern der "Weimarer Koalition" im Jahre 1930 kam schließlich auch keine regierungsfähige Mehrheit mehr zustande. Der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte daher Reichsregierungen, die keine Parlamentsmehrheit hinter sich hatten - sogenannte "Präsidialkabinette". Mit Hilfe des Notverordnungsrechts nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung hatte der Reichspräsident zudem die Möglichkeit, in Krisensituationen mittels außerordentlicher Befugnisse wie das Recht auf Einschränkung der Grundrechte oder den Einsatz bewaffneter Kräfte zu regieren.

Misstrauensvoten in der Bundesrepublik

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es auf Bundesebene bislang nur zwei konstruktive Misstrauensvoten gegen einen amtierenden Bundeskanzler. Am 27. April 1972 stellte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion das erste konstruktive Misstrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt. Anlass war vor allem die von der Union und den Vertriebenenverbänden teils heftig kritisierte Ostpolitik der damaligen sozialliberalen Regierungskoalition. Der damalige Unionskandidat Rainer Barzel verfehlte in der Abstimmung jedoch nur knapp die erforderliche Mehrheit - das Misstrauensvotum war damit gescheitert.

Das zweite konstruktive Misstrauensvotum gab es am 1. Oktober 1982. Bereits im Vorfeld war es innerhalb der SPD zu Streitigkeiten über den NATO-Doppelbeschluss und zu politischen Differenzen mit dem Koalitionspartner FDP gekommen. Am 17. September 1982 kam es mit Rücktritt der FDP-Bundesminister schließlich zum Bruch der sozialliberalen Koalition. In der entscheidenden Abstimmung am 1. Oktober gewann Unionskandidat Helmut Kohl schließlich 256 Ja-Stimmen bei 235 Nein-Stimmen, vier Enthaltungen und zwei nicht abgegebenen Stimmen.

Problematik der Vertrauensfrage

Die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes ist verfassungsrechtlich jedoch nicht unbedenklich. So wird gewöhnlich zwischen einer "echten" und einer "unechten" Vertrauensfrage unterentschieden. Die "echte Vertrauensfrage" definiert Vertrauen weniger im umgangssprachlichen Sinne, sondern vielmehr als Zustimmung zur Person und zum Programm des Bundeskanzlers. So darf dieser nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1983 nur dann die Vertrauensfrage stellen, wenn er sich tatsächlich nicht mehr sicher sein kann, dass seine Politik auch von einer stabilen Mehrheit im Bundestag getragen wird.

Der Bundeskanzler darf die Vertrauensfrage jedoch nicht stellen, damit er an einem aus seiner Sicht günstigen Zeitpunkt Neuwahlen vorschlagen kann, aber noch mit einer Parlamentsmehrheit für seine Politik rechnen kann. In diesem Falle spricht man von der "unechten Vertrauensfrage".

Nach Artikel 81, Absatz 1 des Grundgesetzes kann der Bundeskanzler die Vertrauensfrage jedoch auch mit einer Sachfrage verbinden, wie dies bereits 2001 geschehen ist. Dies hat vor allem zwei Funktionen:

  • Disziplinarische Funktion: die Bundesregierung kann die Parlamentsfraktionen in einer wichtigen Sachfrage wieder klar hinter sich stellen.
  • Verfassungsrechtliche Funktion: der Bundeskanzler kann gegenüber anderen Verfassungsorganen - insbesondere gegenüber dem Bundespräsidenten und dem Bundesverfassungsgericht - deutlich machen, dass er in einer Kernfrage seiner Regierungspolitik keine parlamentarische Unterstützung mehr findet und sich in diesem Sinne auch als handlungsunfähig sieht.

Vertrauensfrage in der Geschichte

In der Geschichte der Bundesrepublik wurde bislang fünf Mal die Vertrauensfrage gestellt - in drei Fällen war sie erfolgreich. Nachdem das erste konstruktive Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt 1972 gescheitert war und einige Bundestagsabgeordnete aus den Reihen der regierenden SPD und FDP zur Union gewechselt waren, kam es im Bundestag zu einem parlamentarischen Patt - Brandt musste daher am 22. September 1972 die Vertrauensfrage stellen. Mit 248 Nein-Stimmen gegen 238 Ja-Stimmen wurde Brandt daraufhin das Misstrauen ausgesprochen - bereits einen Tag später löste der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann den Bundestag auf und es kam zu Neuwahlen.

Am 3. Februar 1982 stellte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) angesichts schwindender Zustimmung innerhalb der Regierungsparteien die Vertrauensfrage. Zwar sprach ihm eine Mehrheit von 269 Abgeordneten das Vertrauen aus - der Auflösungsprozess der sozialliberalen Koalition wurde dadurch jedoch nicht aufgehalten.

Besonders umstritten hingegen war die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) am 17. Dezember 1982 mit dem Ziel, vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen. Nach heftigen Diskussionen über die Verfassungsmäßigkeit stimmte Bundespräsident Karl Carstens letztlich der Auflösung des Bundestages zu. Auch das Bundesverfassungsgericht akzeptierte die Anordnung des Bundespräsidenten, konkretisierte jedoch noch einmal die Grundsätze einer "echten" und "unechten" Vertrauensfrage.

Die vierte Vertrauensfrage am 16. November 2001 beruhte auf dem geplanten Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Hintergrund war das militärische Vorgehen der USA gegen das Taliban-Regime und El-Kaida-Terroristen in Afghanistan. Da auch die NATO den Bündnisfall erklärt hatte, sollte sich die Bundeswehr ebenfalls an diesem Krieg beteiligen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedarf der Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets jedoch der Zustimmung des Bundestages. Da einige Abgeordnete von SPD und Bündnis 90/Die Grünen jedoch angekündigt hatten, ihre Zustimmung zu verweigern, knüpfte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Abstimmung zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan an die Vertrauensfrage. Letztlich erhielt Schröder insgesamt 336 der benötigten 334 Stimmen bei 326 Gegenstimmen - die Vertrauensfrage war somit erfolgreich.

Der fünften Vertrauensfrage am 1. Juli diesen Jahres gingen die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen voraus, bei denen die letzte rot-grüne Regierungskoalition auf Landesebene abgewählt wurde. Bundeskanzler Schröder sah die Handlungsfähigkeit seiner Regierung nicht mehr vorhanden - in der entscheidenden Abstimmung sprachen ihm lediglich 151 Abgeordnete das Vertrauen aus - bei 296 Gegenstimmen und 148 Enthaltungen. Gegen den darauffolgenden Auflösungsbeschluss des Bundestages durch Bundespräsident Horst Köhler haben die Bundestagsabgeordneten Jelena Hoffmann (SPD) und Werner Schulz (B90/Die Grünen)ein Organstreitverfahren beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet. Die beiden Politiker hielten die Vertrauensfrage für "unecht" und befürchten durch den Beschluss den Wandel zu einer "Kanzlerdemokratie".

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wies die Klage der beiden Abgeordneten jedoch mit sieben zu eins Stimmen zurück und bestätigte damit den Auflösungsbeschluss von Bundespräsident Köhler. Nach Ansicht der Richter sei die Einschätzung des Bundeskanzlers durchaus plausibel - "ein zweckwidriger Gebrauch der Vertrauensfrage lässt sich nicht feststellen", sagte dazu der Verfassungsrichter Udo Di Fabio.

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